Chirurgenkongress 2011

Teilnahmebestätigung Chirurgenkongress 2011

 

Chirurgenkongress 2011 München

Donnerstag 05.05.2011
10:30 - 12:00
"Chirurgie 2020 - konkrete  Konsequenzen für Patienten und Ärzte"

Vortrag
10:52 - 11:14
"Chirurgie 2020: ... aus Sicht der Patienten"
Christian Zimmermann, Präsident, Allgemeiner Patienten-Verband e.V.
 

1. Prognose für Medizin und Chirurgie 2020

Wenn sich grundlegende Strukturen und Verfahrensweisen in Chirurgie und Medizin aber auch bei der Justiz und den staatlichen Institutionen nicht ändern, werden wir 2020 in der Medizin im allgemeinen und in der Chirurgie im besonderen vor folgenden Problemen stehen:

Die eine Hälfte der zunehmend verarmten Bevölkerung muß arbeiten, damit die andere medizinisch und chirurgisch versorgt werden kann. Die Sozialsysteme sind weitgehend zusammengebrochen.

Der Überlebenskampf der Krankenhäuser ist immer härter geworden und hat dazu geführt, daß zur Erlössteigerung auf der Basis der Fallpauschalen (DRG) die Indikationen immer weiter gestellt werden und vielfach unnötige ärztliche Maßnahmen im allgemeinen und chirurgische Eingriffe im besonderen durchgeführt werden.

Die Krankenhäuser sind überwiegend in profitorientierten Klinikkonzernen organisiert, deren vorrangiges Ziel die Erwirtschaftung einer möglichst hohen Rendite für ihre Aktionäre ist, die im US-amerikanischen Sprachgebrauch als "shareholder value" bezeichnet wird.

Die Krankenhausträger forcieren die Erlössteigerung durch Verträge mit den Chefärzten, welche die leitenden Ärzte verpflichten, prozentuale Steigerungsraten beim Umsatz und Gewinn der Klinken zu erreichen. Die Chefärzte geben den vertraglichen Druck zur Leistungsausweitung auf die nachgeordneten Ärzte weiter. Das führt zu einer erheblichen Arbeitsverdichtung und zu einem noch stärkeren Streß bei Ärzten im allgemeinen und Chirurgen im besonderen mit der Folge, daß die Zahl der Kunstfehler erheblich zunimmt.

Das Ansehen der Ärzte hat dadurch weiter gelitten. Eine insbesondere über das Internet   - teilweise falsch -  informierte Bevölkerung geht mit Hilfe von raffgierigen, skrupellosen Anwälten, die Anwaltshonorare erlangen wollen, auch mit unsinnigsten Vorwürfen gegen Ärzte vor und verwickelt diese in endlose, jahrelange Prozesse, welche die Gerichtsinstanzen hinaus und hinunter geführt werden. Nach US-amerikanischem Vorbild stehen Anwälte, die sich ebenfalls vielfach in schwierigen finanziellen Verhältnissen befinden, vor den Klinken und verteilen ihre Kärtchen, um Mandanten zu aquirieren.

Fast alle Versicherungen lehnen die Versicherung von Ärzten gegen Kunstfehler ab, weil die Ausgaben die Einnahmen nicht mehr decken. Soweit sich Ärzte überhaupt noch versichern können, müssen sie  - insbesondere bei den operativen Fächern -  exorbitant hohe Prämien bezahlen, die wiederum erst einmal erwirtschaftet werden müssen und erneut zu Erweiterung der Indikationen mit den o.a. Folgen führen - ein Teufelskreis.

Die Feminisierung der Medizin führt dazu, daß der chirurgische Nachwuchs geringer wird, da die Chirurgie für Ärztinnen angesichts deren familiärer Lebensplanung nicht so attraktiv ist. Der Mangel an Chirurgen wird einerseits durch Honorarärzte und andererseits durch ausländische Ärzte insbesondere aus Osteuropa gedeckt, was im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der EU und der gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse ohne größere Schwierigkeiten möglich ist.

Das ergibt dann allerdings Sprachprobleme. Die deutsche Sprache wird zunehmend durch "Denglisch" mit Anglizismen verdrängt, wobei sodann die Patienten schlecht dran sind, die kein Englisch können und in den Kliniken umherirren, weil sie mit Begriffen und Ausschilderungen wie "Stroke Unit" nichts anfangen können.

Eine Niederlassung im ambulanten Bereich wird für Chirurgen uninteressant, weil die restriktiven Bestimmungen für Regel-Leistungs-Volumen (RLV) mit Abstaffelungen bis hin zur Arbeit ohne Bezahlung nicht attraktiv sind. Das Belegarztsystem  ist nur noch rudimentär vorhanden.

Der Kampf gegen Infektionen ist weitgehend verloren. Multiresistente "Killerkeime", die auch gegen die Reserveantibiotika resistent geworden sind, erobern die Kliniken und die Praxen.

Die Sozialsysteme sind weitgehend zusammengebrochen, weil auch hier die Einnahmen die Ausgaben nicht mehr decken. Eine weiterhin hohe Arbeitslosigkeit hauptsächlich von gering qualifizierten Arbeitskräften ist der Hauptgrund. Die industrielle Fertigung ist angesichts des Lohngefälles vielfach in Billiglohnländer verlagert worden. In der Bundesrepublik liegt der Durchschnittslohn bei rund 30 €, in Osteuropa bei ca. 3 € und in Ostasien bei 30 Cent. Im Zusammenhang mit der Globalisierung  - einerseits durch das Internet und anderseits durch riesige Container-Schiffe -  können Waren und Dienstleistungen in den Entwicklungsländern weitaus preiswerter eingekauft werden. Vielfach wird in Deutschland nur noch die Endfertigung vorgenommen.

Die schwierige wirtschaftliche Situation wird verschärft durch die Überalterung der Bevölkerung. Hier rächt sich, daß die moderne  - überwiegend kurativ ausgerichtete -  Medizin unter Vernachlässigung der Prävention die Bevölkerung vielfach nicht gesund machen, sondern nur länger krank halten kann. Das schlägt sich dann in zunehmend hohen und nicht selten exorbitanten Kosten der Behandlung von multimorbiden alten Patienten nieder.

Der deutsche Staat ist bankrott. Die Schulden der öffentlichen Hand im Jahre 2010 in Höhe von fast 2 Billionen € mit einer Zinslast von 20% der öffentlichen Haushalte ist 2020 auf 5 Billionen gestiegen, so daß die Zinsen die Hälfte der öffentlichen Haushalte verbrauchen und der Staat mangels finanzieller Möglichkeiten handlungsunfähig geworden ist.

 

2. gegenwärtige Situation

Die o.a. Prognose beruht auf der Fortschreibung der heutigen Situation und der vorhersehbaren weiteren Entwicklung, wenn nicht gegengesteuert wird.

Das soll lediglich an zwei Problemkreisen erläutert werden:

 

a. Kunstfehler

70 Medizintote pro Tag   - folglich 25 000 pro Jahr -  sind in der Bundesrepublik bei insgesamt mehr als 100 000 Medizinschäden pro Jahr durch vermeidbare ärztliche Kunstfehler zu beklagen. Diese Zahlen gliedern sich wie folgt: etwa 10 000 Tote durch Hygienemängel, 6 000 durch unsachgemäße Medikation, 2000 durch unnötige oder falsche Röntgenstrahlenanwendung. Die restlichen Todesfälle verteilen sich auf die Fachgebiete der Anästhesie, Chirurgie, Orthopädie und Ge-burtshilfe, ein weiterer kleiner Teil auf die nicht so risikoträchtigen Fächer.

Diese Zahlen hören sich zunächst schockierend und vor allem auch unglaubwürdig an, weil die Zahl der Medizin-Toten höher liegt als die Zahl der Verkehrstoten. Diese Zahlen sind aber gut belegt und wurden in der Größenordnung durch die "Aktion Patientensicherheit" bestätigt, an der auch die Ärztekammer mitwirkt.

Prof. Ivan Illich kommt in seinem in alle Kultursprachen übersetzten Buch "Die Enteignung der Gesundheit" (englischer Originaltitel "Nemesis of Medicine") zu dem Schluß, daß unser Gesundheitswesen inzwischen zur größten Gefahr für unsere Gesundheit geworden ist und Prof. Thure von Uexküll schätzt, daß die Hälfte aller Krankheiten in den entwickelten Ländern überhaupt erst durch Ärzte verursacht werden.

 

b. Verschwendung

200 Millionen € pro Tag und damit rund 70 Milliarden pro Jahr werden bei Gesamtkosten unseres Gesundheitswesens in Höhe von etwa 260 Milliarden  - was der Größe des Bundeshaushaltes entspricht -  als Folge von strukturellen und organisatorischen Mängeln verschwendet. Das sind rund 20 % der Kosten  unseres Medizinbetriebs. Ohne diese gigantische Verschwendung hätte unser Gesundheitswesen keine finanziellen Probleme. Die Kosten durch Pfusch und Verschwendung gliedern sich wie folgt:

 

1.
Ärztlicher Pfusch mit 25.000 Medizin-Toten bei 100.000 Medizin-Geschädigten durch Kunstfehler führt zu volkswirtschaftlichen Schäden von
10 Milliarden
2.
Die ausufernde Korruption im Gesundheitswesen bedingt nach Transparency International Kosten von bis zu
20 Milliarden
3.
Unsachgemäße Leistungsausweitung insbesondere zum Zweck der ärztlichen Honorarsteigerung, addiert sich nach dem Gutachten der Sachverständigen zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen auf  rund 
20 Milliarden
4. Das lebensgefährliche Medikamenten-Chaos mit Einzel- und Massenkatastrophen wie Lipobay, Contergan und Menocil verursacht volkwirtschaftlichen Schäden in Höhe von ca.
10 Milliarden
5. Eine überbordende Bürokratie sowohl de Ärzte- als auch der Kassen-Bürokraten erfordert Kosten von 10 Milliarden
10 Milliarden
Summa: 70 Milliarden
 

 

 

c. Lösungsansätze für die Chirurgie 2020 aus Sicht der Patienten

Der wichtigste Lösungsansatz ist die Änderung des ärztlichen Dienstes sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich, um Streß und Kunstfehler zu vermeiden und die Verschwendung zu stoppen.

In den Klinken werden kollegiale Leitungssysteme mit Lebensstellungen für die Ärzte eingeführt, wobei nicht die Krankenhausträger sondern das Ärztekollegium den leitenden Arzt wählt. Da bei erfreulichen und kollegialen ärztlichen Verhältnissen im Krankenhaus der heute weitgehend bestehende Zwang zur Niederlassung mit dem Aufbau einer zweiten Facharztschiene fehlt, werden die dadurch bedingten Ausgaben ebenso überflüssig wie der künstlich erzeugte doppelte Arbeitsanfall. Desweiteren wird die Leistungsausweitung bei der heutigen Konkurrenz zwischen niedergelassenen und stationär tätigen Fachärzten vermieden und eine streßfreie Tätigkeit in den Kliniken unter Vermeidung der vielfach dadurch bedingten Kunstfehler möglich.

Die Privateinnahmen gehen komplett in einen Pool, der die Ärzte der Klinik nach Qualitätskriterien  - pay for performance -  unterstützt. Der leitende, vom Ärztekollegium gewählte Chefarzt ist für alle Patienten da, vorrangig für die besonders schwierigen medizinischen Fallgestaltungen. Durch diese Regelung werden falsche finanzielle Anreize vermieden und der qualifizierteste Arzt steht für die besonders gefährdeten Patienten zu Verfügung.

Im ambulanten Bereich erhalten die Ärzte  - gestaffelt nach Fachgebiet und Qualifikation -  ein Grundgehalt und eine Bonusregelung für besonders gute ärztliche Leistungen nach Erfolgskontrolle. Hat z.B. ein Arzt bei Diabetiker-Behandlung 20 % Amputationen, ein anderer aber nur 2%, dann soll  - natürlich unter Berücksichtigung eines Risikostrukturausgleichs  -  derjenige Arzt einen Bonus erhalten, der offensichtlich besser behandelt. Auch hier gilt die Bezahlung nach Leistung unter Erfolgskriterien. Damit wird eine unsachgemäße Leistungsausweitung uninteressant und jeder Arzt ist nur noch bestrebt, optimale Qualität bei der Behandlung der Patienten zu erreichen, um den Bonus zu erhalten.

Das Medizinstudium wird reformiert und u.a. gesundheitspolitische Informationen über die Mängel des Medizinbetriebs vermittelt, damit die Ärzte künftig nicht als gesundheitspolitische Analphabeten in den Beruf entlassen werden und die Mißstände im Medizinbetrieb nicht mehr als Ergebnis höherer Weisheit hinnehmen.

Die Krankenkassen werden aufgelöst und die Beiträge nach skandinavischem Vorbild über die Finanzämter im Rahmen eines gerechten Steuersystems eingezogen. Die dann überflüssigen Kassenbürokraten werden zu Altenpflegern umgeschult, damit sie künftig eine sinnvolle Tätigkeit ausüben.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens erfolgt unter Zusammenfassung der Beiträge und der öffentlichen Mittel durch eine Forschungsstiftung Patientenschutz, das die Grundgehälter und die Boni nach Qualitätskriterien auszahlt, um über sinnvolle finanzielle Anreize eine optimale Behandlung aller Patienten insbesondere im Hochrisikobereich der Chirurgie zu erreichen.

Dies sind die Alternativen, die Patienten in Hinblick auf die Chirurgie im Jahr 2020 haben.

Christian Zimmermann
-Präsident-
Allgemeiner Patienten-Verband e.V.