Gesundheitsreform

Der Allgemeine Patientenverband wird als bedeutende Patientenorganisation vom Bundesgesundheitsministerium regelmäßig um Stellungnahmen zu gesundheitspolitischen Fragen gebeten, so auch zur Frage der Weiterentwicklung der "Gesundheitsreform".

 

Bundesgesundheitsministerium

- z.Hd. Herrn Bundesgesundheitsminister Spahn - 

Friedrich-Str. 108 

10117 Berlin

 

 

 

Betrifft:

Gesundheitsreform

 

Bezug

aktuelles Gutachten des SVR, Gutachteranhörung

 

31.08.2018

 

Sehr geehrter Herr Spahn,

verbindlichen Dank für die Übersendung des aktuellen Gutachtens des Sachverständigenrates. Die wichtigeste dort getroffene Aussage ist die Feststellung, daß es nach Einführung der Fallpauschalen zu einer Steigerung von operativen Eingriffen gekommen ist, die medizinisch nicht mehr erklärt werden kann.

Im Klartext:

Es werden zwecks Erlössteigerung auf der Basis der Fallpauschalen nicht indizierte Eingriffe an Patienten durchgeführt, die verantwortungslos, unethisch sowie zivil- und strafrechtlich relevant sind.

Wir vertreten schon seit Jahrzehnten die folgende Überzeugung:

Wenn die Ärzte bei ihren Patienten nur solche Eingriffe durchführen würden, die sie an sich selbst und ihren Angehörigen durchführen lassen, gäbe es keine Probleme im Gesundheitswesen, denn es ist erwiesen, daß die Ärzte nur einen Bruchteil der Eingriffe an sich selbst und ihren Angehörigen durchführen lassen, die sie ihren Patienten zumuten.

Kern- und Angelpunkt einer Beseitigung dieser skandalösen Zustände im Medizinbetrieb ist die strikte Vermeidung falscher finanzieller Anreize bei der ärztlichen Tätigkeit und eine wirksame Kontrolle unärztlichen Verhaltens aus finanziellen Gründen gegen medizinische Ethik und gegen sachgerechte Indikationsstellung.

Dazu machen wir folgende Vorschläge:

 

1. Krankenhäuser

Der größte Kostenblock im Gesundheitswesen ist die Finanzierung der Krankenhäuser, die überwiegen durch die Fallpauschalen (DRG) erfolgt, bei deren Kodierung Manipulationen Tor und Tür geöffnet wird, wenn sie von Angestellten der Kliniken selbst vorgenommen wird, weil diese von der Krankenhausverwaltung angewiesen und unter Druck gesetzt werden können, die Kodierungsmöglichkeit ggf. unlauter auszuschöpfen  -  bis hin zum Betrug.

Wir schlagen deshalb folgendes vor:

Die Kodierung der in den Kliniken erbrachten Leistungen wird den Kliniken entzogen und auf Experten übertragen, die von den Krankenkassen bezahlt werden, dadurch von den Krankenhäusern unabhängig sind und nicht deren Weisungen unterliegen. Diese Experten prüfen zugleich die gestellten Indikationen auf deren Stichhaltigkeit.

Wer nichts zu verbergen hat, wird mit dieser Vorgehensweise einverstanden sein, denn seriösen Ärzte ist der bürokratische Aufwand bei der Kodierung ohnehin lästig und sie werden in der Regelung, diese bürokratische Tätigkeit auf unabhängige Experten zu übertragen, einverstanden sein und sie begrüßen.

Wir schlagen desweiteren folgendes vor:

Die Krankenhausverwaltungen treffen zur Zeit mit den von ihnen ausgewählten Chefärzten sogenannte „Zielvereinbarungen“, bei denen letztere insbesondere auf das finanzielle Wohl der Klinik verpflichtet werden und eine für die Klinik rentable ärztliche Tätikeit auszuüben sollen mit einer möglichst hohen Zahl von  - insbesondere lukrativen -  operativen Eingriffen. Die Chefärzte geben den administrativen Druck über die Oberärzte auf die Assistenzärzte weiter, so daß es zu der eingangs ausgeführten unsachgemäßen Leistungsausweitung aus finanziellen Gründen gegen medizinische Ethik und gegen sachgerechte Indikationsstellung kommt.

Zur Befreiung der Klinikärzte von administriven Zwängen und Zumutungen ist es erforderlich, den Krankenhausverwaltungen die Wahl der Chefärzte zu entziehen, denn dadurch werden nicht die fähigsten sondern die willfährigsten ausgewählt. Deshalb ist es geboten, daß sowohl alle Ärzte der Klinik als auch die niedergelassenen Ärzte des Einzugsgebietes einer Klinik ein Ärzteparlament bilden, das den jeweils fähigsten Chefarzt auf Zeit auswählt mit der Möglichkeit der Wiederwahl, wenn er primär das Wohl der Patienten im Auge hat und eine sachgerechte Kooperation mit den nachgeordneten Ärzten sowie mit den niedergelassenen Kollegen pflegt.

In diesem Zusammenhang werden die Zuweiserpauschalen an die niedergelassenen Ärzte verboten, mit denen die Kliniken Patienten aus dem ambulanten Bereich zu aquirieren versuchen, um Fallpauschalen abrechnen zu können.

 

2. Niedergelassene Ärzte

Die gegenwärtig überwiegende Einzelleistungsvergütung führt im ambulaten Bereich zu einer Leistungsausweitung. Wir fordern deshalb ein Grundgehalt für alle Ärzte  - orientiert etwa an der Hälfte des Einkommens des jeweiligen Fachgebietes -  mit einer Steigerungsmöglichkeit über das Grundgehalt hinaus durch Fallzahlen bei Nachweis von Ergebnisqualität durch Teilnahme an Qualitätszirkeln.

Dadurch wird zum einen der finanzielle Druck zur unsachgemäßen Leistungsausweitung vermindert, weil unabhängig von den Fallzahlen ein Grundgehalt gesichert ist und zum anderen wird in Kombination mit der o.a. Qualitätssicherung ein Anreiz zur Erbringung qualitativ hoher ärztlicher Leistungen geschaffen.

Es wurde vom Gesundheitsministerium bereits eine Kommission etabliert, die sich mit der Vergütung der niedergelassenen Ärzte beschäftigen und neue Vorschläge dazu erarbeiten soll. Wir regen an, daß sich diese Kommission insbesondere mit den finanziellen Zwängen bei einer Niederlassung beschäftigt und diese Zwänge mit falschen finanziellen Anreizen durch Realisierung unserer o.a. Forderungen vermindert und / oder beseitigt.

 

3. Krankenkassen

Die Bevorzugung von Privatpatienten insbesondere bei der Terminvergabe hat zu „bösem Blut“ in der Bevölkerung geführt. Die Terminservice-Stellen sind nur ein Notbehelf.

Die Ärzte verdienen bei Privatpatienten etwa das dreifache gegenüber Kassenpatienten. Da ist die Versuchung natürlich groß, Privatpatienten zu bevorzugen, wobei es allerdings ein Irrtum ist, daß Privatpatienten generell besser gestellt sind. Sie  sind vielmehr insoweit besonders gefährdet, da bei ihnen unnötige ärztliche Maßnahmen und Eingriffen besonders gern vorgenommen werden, weil diese bei ihnen wesentlich lukrativer abgerechnet werden können. Der Status eines Privatpatienten ist folglich keineswegs immer vorteilhaft.

Wir schlagen deshalb folgendes vor:

PKV und GKV werden miteinander verschmolzen. Das gilt sowohl für die Höhe der Leistungsvergütung als auch für die Gebührensystematik. Da die GKV angesichts der weitgehenden Vollbeschäftigung finanziell gut gestellt ist, während die PKV durch die niedrigen Zinsen ihrer Anlagen mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, könnte der Höhe nach eine Angleichung durch Erhöhung der ärztlichen GKV-Vergütung bei Verminderung der PKV-Vergütung erfolgen.

Auf diese Weise würde die neue, verschmolzene Krankenversicherung „auf zwei Beinen“ stehen, die einen ausreichenden Zufluß von finanziellen Mitteln sichern und je nach wirtschaftlicher Konjunktur ausgeleichen würden. Bei guter Konjunktur würde der Zufluß der Mittel aus Arbeitseinkommen und bei schlechter aus den Kapitalanlagen jeweils relativ steigen und dadurch zu einer ausgleichenden Funktion der Kassenbeiträge bei den verschmolzenen Kassen führen.

Da die GKV die Ärzte nach dem EBM, die PKV nach der GOÄ mit jeweils unterschiedlicher Systematik vergütet, wäre insoweit auch eine Angleichung der Berechnungsgrundlagen mit einer neuen Systematik erforderlich, die nicht einfach, aber zu bewältigen ist.

Auf diese Weise wäre sichergestellt, daß falsche finanzielle Anreize durch die bislang unterschiedliche GKV- und PKV-Vergütung der Ärzte verhindert werden und weder ein Anreiz zur unterschiedlicher Terminvergabe bei unterschiedlichen Wartezeichten noch ein finanzieller Anreiz zu unnötigen ärztlichen Maßnahmen nach der GOÄ durch deren erheblich höhere Vergütung bei Privatpatienten besteht.

Soweit unsere Vorschläge.

Es wird um Eingangsbestätigung dieser e-Mail samt Anhang sowie der unmittelbar nachfolgenden Sendung dieses Schreibens mit konventioneller Post gebeten sowie um Stellungnahme zu unseren Vorschlägen.

Dank im voraus!

 

Mit freundlichen Grüßen,

Christian Zimmermann

Präsident -

Allgemeiner Patienten-Verband