
Im Jahr 2004 wurde u.a. Christian Zimmermann, Präsident des Allgemeinen Patientenverbandes, von der DPA über die Privatisierung des Universitätsklinikums Marburg und Gießen durch die Regierung Koch (CDU) befragt.
«Mutiger Schritt» oder «Ausverkauf» - Hessen privatisiert Unikliniken
Von Julia Ranniko, dpa
Gießen/Marburg (dpa/lhe) - Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat einen Überraschungscoup gelandet: Erstmals in Deutschland sollen zwei Universitätskliniken in Gießen und Marburg komplett an eine private Krankenhauskette verkauft werden. Mit der Privatisierung im Doppelpack wird die Landesregierung ein teures Problem los - allein in die maroden Gebäude in Gießen müssen rund 200 Millionen Euro investiert werden. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands rechnet damit, dass weitere universitäre Krankenhäuser diesem Schritt folgen werden. «Bei öffentlich-rechtlichen Formen werden Entscheidungen nicht konsequent genug getroffen, es gibt zu viel politischen Einfluss», sagt Vorsitzender Rüdiger Strehl.
Während die Vorstände der beiden mittelhessischen Kliniken Kochs Entscheidung als «mutigen Schritt» loben, klagt der Personalrat über einen «Ausverkauf der Unikliniken in der Region». Bis zu einem Drittel der Arbeitsplätze seien bedroht, und das Tarifniveau werde drastisch sinken, kritisiert der Gießener Personalratschef Klaus Hanschur: «Das ist eine Katastrophe für die Beschäftigten.» Auch wie die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre unter einem privaten Betreiber garantiert werden könne, sei bisher völlig unklar.
Das Land gibt für eine Privatisierung allerdings strenge Richtlinien vor: Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2010 ausgeschlossen, und beide Standorte müssen erhalten bleiben. Im kommenden Jahr sollen die Kliniken mit ihren insgesamt knapp 10.500 Arbeitsplätzen zu einer gemeinsamen Anstalt öffentlichen Rechts verschmelzen und zum 1. Januar 2006 von einem privaten Betreiber übernommen werden. Bereits seit mehr als einem Jahr drängt das Land darauf, dass die gut 30 Kilometer voneinander entfernten Krankenhäuser ein «Medizinzentrum Mittelhessen» bilden und unterschiedliche Schwerpunkte in Forschung und Behandlung setzen.
Die Klinikumsvorstände sehen bei der Umsetzung der Privatisierung zwar große Schwierigkeiten, betonen aber dennoch die Chancen des aus ihrer Sicht unvermeidlichen Eingriffs. «Wir steigen zum fünftgrößten deutschen Uniklinikum auf», lobt der Marburger Ärztliche Direktor Prof. Matthias Schrappe. Bei einer Privatisierung nur der Gießener Klinik - dieses Modell war hauptsächlich im Gespräch - hatten die Marburger einen «ruinösen Konkurrenzkampf» befürchtet.
Der Allgemeine Patienten-Verband in Marburg befürchtet nach der Übernahme durch einen Privatkonzern eine Verschlechterung der Patientenversorgung. «Die Wirtschaftlichkeit im Sinne der Aktionäre wird dann im Vordergrund stehen», bemängelt Präsident Christian Zimmermann. «Man muss von der Schiene herunterkommen, dass privat alles besser läuft.» Strehl vom Uniklinikums-Verband dagegen glaubt nicht, dass sich eine Privatisierung negativ auf die Patienten auswirkt: «Das sind reine Vorurteile.» Drei Krankenhausketten haben bisher ihr Interesse an den mittelhessischen Kliniken signalisiert.
Strehl ist allerdings skeptisch, ob es einem privaten Betreiber nach Einführung der Fallpauschalen - des neuen Preissystems in Krankenhäusern - gelingt, genug Geld für die nötigen Investitionen zu erwirtschaften. Die Bundesländer hätten sich auf die Fallpauschalen und den damit einhergehenden Bettenabbau nicht vorbereitet, kritisiert der Verbandsvorsitzende. Mit einer Privatisierung stehlen sich die Politiker nach seiner Ansicht aus der Verantwortung.
Dennoch ist der kaufmännische Direktor der Gießener Klinik, Werner Soßna, erleichtert über die Entscheidung - eine Lösung war in den letzten Wochen bereits zwei Mal vertagt worden. Beim Marburger Personalrat jedoch ist die Nachricht von der doppelten Privatisierung eingeschlagen «wie eine Bombe», wie der Vorsitzende Wilfried Buckler sagt: «Mit allen möglichen Rechtsformen habe ich mich angefreundet, aber damit habe ich nicht gerechnet.»


