Interview mit Sonntag Aktuell über die neue Patientenbeauftragte

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Im Jahr 2004 führte die Wochenzeitung Sonntag Aktuell ein Interview mit Christian Zimmermann, Präsident des Allgemeinen Patienten-Verbandes über die neue Institution des Patientenbeauftragten.

Frage: Herr Zimmermann, die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, soll sich um die Ängste und Bedürfnisse der Patienten kümmern. Das ist doch ganz in Ihrem Sinn, oder?

Christian Zimmermann: Das hört sich gut an, und es wäre erfreulich, wenn sie die Belange der Patienten wahrnehmen würde. Wir haben aber den Verdacht, dass Frau Kühn-Mengel nur als Blitzableiter dienen soll. Das hat Tradition: Früher haben sich die Fürsten einen Hofnarr gehalten, heute hält sich die Regierung eine Patientenbeauftragte.

Frage: Gehen Sie da nicht ein bisschen weit?

Christian Zimmermann: Leider nicht: Die Patientenbeauftragte ist institutionell nicht abgesichert, kann jederzeit gefeuert werden und ist auch nicht durch die Bevölkerung legitimiert.

Frage: Geben Sie ihr trotzdem eine Chance?

Christian Zimmermann: Sie hat keinen Spielraum. Wenn sie die Regierung kritisiert, wird sie ihren Job schnell los sein. Von jemandem, der an so einer kurzen Leine hängt, erwarten wir keine großen Verbesserungen.

Frage: Wo müsste man den aus Ihrer Sicht ansetzen, um unser Gesundheitswesen zu retten?

Christian Zimmermann: Vor allem bei den unsachgemäßen Tätigkeit der Ärzte. Wir haben pro Jahr 100 000 Medizinschäden mit 25 000 Todesfällen in Deutschland. Das sind keine Spinnereien, sondern gut belegte Zahlen, die sich noch am unteren Rand der Schätzungen bewegen. Gerade die falschen Medikationen beruhen zum Großteil auf falschen Empfehlungen der Ärzte. Denn die blicken im derzeit herrschenden Medikamentenchaos auch nicht mehr durch. Die Regierung hätte sofort die Zustimmung der Bevölkerung, wenn sie dort ansetzen würde.

Frage: Und die Reformbemühungen unserer meist gut gelaunten Ministerin...

Christian Zimmermann: ... lösen das Problem auch nicht.

Frage: Aber die Patientenbeauftragte müsste doch gerade an diesem Punkt ansetzen?

Christian Zimmermann: Wenn sie es denn täte. Aber ich sehe dafür keinerlei Ansatzpunkte.

Frage: Sind unsere Ärzte wirklich solche Pfuscher?

Christian Zimmermann: Wir gehen davon aus, dass eine große Zahl unnötiger Behandlungen gemacht werden, die zwar nicht schaden, aber auch nichts nutzen und nur der Honorarausweitung dienen. Bei uns wird doppelt so viel geröntgt wie in Schweden. Bei Herzkathetern haben wir einen Spitzenwert. Offenbar soll die halbe Bevölkerung mit diesen Instrumenten versorgt werden. Ähnlich sieht es bei Osteoporose-Untersuchungen oder Kniespiegelungen aus. Würde man da Sinn und Unsinn trennen, ließen sich Milliarden einsparen.

Frage: Aber bei der Reform des Gesundheitswesens geht es doch um mehr als um Kunstfehler?

Christian Zimmermann: Stimmt, wir brauchen erstens dringend eine integrierte Versorgung, das heißt die Verschmelzung von ambulanter und klinischer Behandlung. Dann müsste sich ein Patient beispielsweise nach der Krankenhausbehandlung nicht mehr zu irgendeinem ihm völlig unbekannten Arzt zur Nachsorge begeben. Unser System wird von den Chefärzten im Krankenhaus und von den etablierten niedergelassenen Ärzten beherrscht. Bei der integrierten Versorgung würden sowohl die Chefarztpositionen als auch die Stellung der niedergelassenen Ärzte erschüttert. Deshalb laufen sie dagegen Sturm. Wir brauchen zweitens eine leistungsgerechte Bezahlung der Ärzte. Das heißt, ein Grundgehalt und eine Bonusvergütung. Wenn ein Arzt bei einer Diabetesbehandlung 20 Prozent Amputationen hat, ein anderer dagegen nur zwei Prozent muss sich das in der Bezahlung niederschlagen. Derzeit ist es genau umgekehrt. Der gute, beratende Arzt wird bestraft, der schlechte, der nur möglichst viele Patienten durch die Praxis schleust, wird belohnt.

Frage: Bringt die Praxisgebühr eine Entlastung?

Christian Zimmermann: Mag sein, dass wir es mit der Zahl der Arztbesuche manchmal übertrieben. Aber die Steuerung der Besuche kann nicht über eine soziale Selektion erfolgen. Ein Gutverdiener lacht über die zehn Euro, für die Ärmeren sind sie eine Barriere. Außerdem rühren die häufigen Konsultationen ja auch davon her, dass die Ärzte selbst ein Interesse haben, ihre Praxen und Geräte auszulasten.

Frage: Sie mögen Ärzte nicht besonders, oder?

Christian Zimmermann: Falsch. Wir sind nicht Gegner der Ärzte, sondern Gegner ihrer Funktionäre. Die Verhältnisse sind doch so, dass auch die verantwortungsvollen Ärzte gar nicht segensreich wirken können. Unsere Hauptforderung ist deshalb die Entmachtung der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Auflösung der Ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Beide Einrichtungen sind Lobbyisten, die nicht das Gemeinwohl vertreten.

Frage: Gibt es nicht auch bei den Kassen Möglichkeit, Geld zu sparen?

Christian Zimmermann: Natürlich. Es fehlt an einem sinnvollen Wettbewerb um die besten Verwaltungsstrukturen. Ich sehe nicht ein, warum eine Kasse nicht pleite gehen sollte. Wir haben mehr als 300 Kassen, das heißt: 300 Verwaltungspaläste, 300 aufgeblähte Apparate. Wir haben 140 000 niedergelassene Ärzte und 150 000 Kassenbürokraten. Das heißt: Mehr als ein Verwaltungsmensch pro Arzt! Ich frage mich, was die den ganzen Tag machen.

Frage: Wie ließe sich mehr Wettbewerb in dieses System hinein tragen?

Christian Zimmermann: In den USA ist es selbstverständlich, dass alle Kliniken einen Jahresbericht herausgeben, in dem sie auch offen über Fehler Rechenschaft ablegen. Bei uns gibt es einen Trend in diese Richtung. Aber die Ergebnisse solcher Berichte werden strikt geheim gehalten. Wenn Ulla Schmidt da mehr Öffentlichkeit schaffen will, finden wir das erfreulich.

Frage: Vorbild USA?

Christian Zimmermann: Nein, denn die USA haben zwar ein privates System, aber riesige bürokratische Kosten. Die Kliniken dort unterhalten große Abteilungen, die nur prüfen, welche Versicherung welche Leistungen trägt. Wir plädieren statt dessen für einen sinnvollen Wettbewerb.

Frage: Und wie lange müssen wir auf den noch warten?

Christian Zimmermann: Wir können gar nicht mehr lange warten. Wir haben einen riesigen Schuldenberg, der laufend höher wird. Es müssen Veränderungen kommen, aber nicht auf falschen und unsozialen Wegen. Uns bringt es zu Weißglut, dass Chefärzte zum Teil Millionen verdienen, während bei Leuten am Existenzminimum zehn Euro kassiert werden. Niemand neidet einem Chefarzt sein hohes Einkommen, aber ein Unterschied zum Bauspekulanten sollte wenigstens noch spürbar sein.

Frage: Wie lange also?

Christian Zimmermann: In einem Jahrzehnt wird es möglich sein. Wenn die Politik an der richtigen Stelle ansetzt.